Strahlentherapie und Radioonkologie

DEGRO

Die Strahlentherapie (Radiotherapie) ist neben der Operation und Chemotherapie eine der zentralen Säulen der Krebstherapie. Bei jedem zweiten Krebspatienten kommt im Laufe seiner Erkrankung eine Strahlentherapie zum Einsatz. Im Gegensatz zur medikamentösen, im ganzen Körper wirkenden („systemischen“) Chemotherapie ist die Strahlenbehandlung eine rein lokale Maßnahme - die tumorzerstörende Wirkung tritt also nur innerhalb des Bestrahlungsfeldes auf.


Die Strahlentherapie kann als alleinige Behandlungsmethode, in Kombination mit Chemotherapie (Radiochemotherapie) und nach (adjuvant) oder vor (neoadjuvant) einer Operation eingesetzt werden. Einige Krebsarten, z.B. lokal begrenzter Kehlkopfkrebs oder Prostatakrebs, können durch eine alleinige Strahlentherapie geheilt werden. Darüber hinaus kann eine Strahlentherapie in der Krebsbehandlung eingesetzt werden, um Beschwerden zu lindern oder ihnen vorzubeugen.


Wie wirkt die Strahlentherapie?


Bei der Strahlentherapie werden die Krebszellen mithilfe ionisierender Strahlung oder Teilchenstrahlung zerstört. Die Strahlung schädigt die Erbsubstanz der Zellen, sodass die Zellteilung aufhört und die Zellen untergehen. Die Tumoren werden kleiner oder verschwinden sogar.


Die zellschädigende Wirkung der Strahlentherapie ist nicht spezifisch, d. h. auch gesunde Körperzellen werden in Mitleidenschaft gezogen. Allerdings können, je nach Grad der Schädigung, die zelleigenen Reparatursysteme die Schäden am Erbgut reparieren. Wie mit einer Schere schneiden sie die Stellen heraus und ersetzen sie durch intakte. Diese Fähigkeit zur Erbgut-Reparatur ist in gesunden Zellen besser ausgeprägt als in Krebszellen. Während sich die eigentlich gesunden Zellen regenerieren, sterben die Krebszellen ab und werden von den Immunzellen des Körpers beseitigt. Um den gesunden Zellen genügend Zeit für die Reparatur der Erbgutschäden zu geben, muss bei einer Strahlentherapie die Strahlendosis, die der Patient insgesamt bekommen soll, auf mehrere Einzelsitzungen (Fraktionen) aufgeteilt werden.


Der Arzt wählt die Strahlendosis anhand der Strahlenempfindlichkeit des Tumors aus. Soll eine Heilung erreicht werden, dann liegt die Strahlendosis bei 40 bis 70 Gray (Gy) – diese Maßeinheit ist nach ist nach dem britischen Physiker und Vater der Radiobiologie, Louis Harold Gray, benannt. Die zur Tumorvernichtung notwendige Gesamtdosis teilt man normalerweise in Fraktionen von jeweils 1,8 bis 2 Gy auf (Normofraktionierung). Dadurch wird eine gute Verträglichkeit erreicht und das Risiko bleibender Schäden und Spätkomplikationen vermindert. Allerdings bleibt die Reparaturfähigkeit der gesunden Gewebe der begrenzende Faktor für eine Strahlentherapie, die der Heilung dienen soll. Neue Techniken der Präzisionsbestrahlung erlauben eine genaue Eingrenzung auf das Tumorgewebe. So kann gesundes Gewebe besser geschont werden. Mit solchen Techniken ist eine sogenannte hypofraktionierte Bestrahlung möglich; d. h., die notwendige Strahlendosis wird in wenigen Fraktionen verabreicht. Auf die Reparaturfähigkeit des gesunden Gewebes muss weniger Rücksicht genommen werden.

Die Extremform der Präzisionsbestrahlung ist die sogenannte Radiochirurgie, bei der der Patient innerhalb eines Tages eine hohe Dosis erhält. Bei der Radiochirurgie wird in Kauf genommen, dass eine hohe Zahl an Tumorzellen mit einem Schlag abstirbt und den Körper durch eine große Zahl an Zelltrümmern und-abbauprodukten belastet.


Palliative Radiotherapie


Die palliative Radiotherapie wird eingesetzt, um Schmerzen und andere Symptome von Tumorerkrankungen zu lindern. Dabei werden die Tumoren oder Metastasen, welche Beschwerden verursachen, gezielt bestrahlt. Dies erfolgt oft in wenigen Sitzungen und hohen Einzeldosen (Hypofraktionierung), um die körperliche und die zeitliche Belastung der Patienten gering zu halten. Typische Verordnungen sind: 10 x 3 Gy; 5 x 4 Gy oder 1 x 8 Gy.

Die palliative Radiotherapie ist sehr wirksam. Sie lindert mit hoher Wahrscheinlichkeit Schmerzen oder reduziert Tumorschwellungen. Bei Knochenmetastasen lässt sich durch die Bestrahlung der Knochenaufbau verbessern.


Welche Strahlentherapien gibt es?


Möglich sind Bestrahlungen von außen mit Linearbeschleunigern oder von innen mit umschlossenen Radionukliden. Außerdem gibt es strahlentherapeutische Behandlungen mit offenen Radionukliden, die im Rahmen der Nuklearmedizin durchgeführt werden.


Strahlentherapie von außen (perkutane Radiotherapie)


Die Bestrahlung von außen erfolgt durch die Haut (perkutan). Bei den Geräten handelt es sich meist um Linearbeschleuniger. Die Patienten liegen auf einer Liege unter der Bestrahlungseinrichtung und werden, weil sie sich nicht bewegen dürfen, fixiert. Beweglich sind sowohl die Bestrahlungseinrichtung als auch die Liege, sodass die Richtung der Strahlung beliebig angepasst werden kann und nicht immer das gleiche gesunde Gewebe mitbestrahlt wird. Selbst die Atembewegungen des Patienten können auf diese Weise, sofern es notwendig ist, ausgeglichen werden. In den meisten Fällen erfolgt die perkutane Strahlentherapie fraktioniert, d.h. in mehreren Sitzungen.

Die verschiedenen Bestrahlungsmethoden durch die Haut sind nicht für alle Krebsarten gleichermaßen gut geeignet:

Konventionelle Strahlentherapie: Einsatz konventioneller „flacher“ (also nicht dreidimensionaler) Bestrahlungsfelder, angewendet z. B. nach brusterhaltender Operation bei Brustkrebs.

Konformationsbestrahlung (3D-Strahlentherapie): Das Strahlenfeld wird mithilfe von Blenden und Filtern möglichst zielgenau an die Tumorform und -größe angepasst, um das umliegende Gewebe zu schonen. Die Konformationsbestrahlung kann z. B. bei Tumoren eingesetzt werden, die in der Nähe lebenswichtiger Organe oder Strukturen liegen, die nicht geschädigt werden dürfen.


Intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT): Weiterentwicklung der 3D-Strahlentherapie, bei der die Einstrahlrichtung fortwährend verändert wird, sodass die Strahlen zwar permanent durch den Tumor laufen, aber gleichzeitig das getroffene gesunde Gewebe variiert. Auch die Strahlenintensität innerhalb des Tumors kann verändert werden. Die IMRT ist bei Prostatakrebs, Hirntumoren, Tumoren im Kopf-Halsbereich (Mund, Rachen, Hals), Tumoren des Verdauungstrakts und im Genitalbereich einsetzbar.

Stereotaktische Bestrahlung („Gamma Knife, CyberKnife, Strahlenchirurgie“): Hierbei treffen die Behandlungsstrahlen aus verschiedenen Einstrahlwinkeln punktgenau auf den Tumor, wobei der Patient entweder fixiert wird oder seine spontanen Lageveränderungen und Atembewegungen automatisch ausgeglichen werden. Auf das gesunde Gewebe entlang der Einstrahlbahnen trifft nur eine geringe Strahlendosis, sodass der Tumor selbst mit hohen Energiedosen bestrahlt werden kann. Die Bestrahlung ist dadurch sehr präzise, vergleichbar einem chirurgischen Eingriff, weshalb diese Form der Bestrahlung auch als Radiochirurgie oder bezeichnet wird. Die stereotaktische Bestrahlung ist für Hirntumoren, Tumoren im Kopf-Halsbereich sowie Tumoren und Metastasen in Lunge, Leber, Prostata und Wirbelsäule geeignet.


Ionentherapie (Protonen-, Schwerionenbestrahlung): Bestrahlung mit Protonen oder anderen schweren Ionen, die ihre Strahlenenergie erst dann freigeben, wenn sie beim Durchdringen des Gewebes abgebremst werden und eine geringere Geschwindigkeit erreichen. Durch Variierung der Strahlenenergie kann die Tiefe der Dosisverteilung gesteuert werden. Dies erlaubt eine bessere Fokussierung der Strahlung auf das Tumorgewebe und eine Schonung der gesunden Gewebe. Die Ionentherapie eignet sich gut für die Bestrahlung solcher Tumore, die gegen eine herkömmliche Strahlentherapie eher unempfindlich sind, z. B. bei Tumoren der Schädelbasis wie Chondromen (gutartige, knorpelbildende Tumoren), Chondrosarkomen (bösartiger Knochentumor) und Meningeomen (meist gutartige Tumoren der Hirnhaut) oder Tumoren der Speicheldrüsen.


Intraoperative Radiotherapie (IORT):


Der Tumor wird während einer Operation durch die geöffnete Körperhöhle direkt bestrahlt. Die Chirurgen haben schon Tumormasse entfernt und dazu das zu treffende Gewebe freigelegt, so dass das sogenannte "Tumorbett" in Anwesenheit von Chirurg und Strahlentherapeuten unter Sicht bestrahlt werden kann. Die IORT eignet sich für Bestrahlungen im Bauchraum, weil so umliegende Organe gut geschützt werden können. Auch im Rahmen der brusterhaltenden Behandlung des Mammakarzinoms kommt die intraoperative Bestrahlung zur Anwendung, um die Dauer der Bestrahlung durch die Haut zu reduzieren.

Die Strahlentherapie von außen kann in Kombination mit Chemotherapie als Radiochemotherapie erfolgen. Hierbei erhöhen die eingesetzten Chemotherapien die Strahlenempfindlichkeit des Tumorgewebes, wodurch die Effizienz der Strahlentherapie zunimmt. Nicht alle Chemotherapiemedikamente sind für die simultane Anwendung mit ionisierender Strahlung geeignet. Die Behandlung mit Radio-Chemotherapie erfordert viel Erfahrung und eine enge Abstimmung beider Therapieformen.


Strahlentherapie von innen: Brachytherapie


Bei der Brachytherapie wird die Strahlenquelle direkt am Tumor oder an genau der Stelle im Körper platziert, an der sich der Tumor vor der Operation befunden hat. Die Strahlung hat nur eine geringe Reichweite von wenigen Millimetern („brachy“). Über die Verweildauer des Radionuklids (instabile und damit radioaktive Atomsorte) oder über dessen Aktivität und Halbwertszeit wird die Strahlendosis gesteuert. Das Tumorgewebe kann bei dieser Methode mit einer hohen Dosis bestrahlt werden, ohne dass das gesunde Gewebe zu sehr geschädigt würde. Geeignet ist die Brachytherapie z. B. bei Gebärmutterhalskrebs, bei Prostatakrebs, bei Sarkomen oder bei Kopf-Hals Tumoren.

Eine Sonderform der Bestrahlung von innen ist das sogenannte Afterloading. Hierbei werden starke Strahlungsquellen für einen kurzen Zeitraum verwendet. Der Tumor wird zunächst mit Schläuchen, Hohlröhren oder Hohlnadeln "gespickt", durch die Strahlenquellen eingebracht und am Ende der Therapie wieder entfernt werden. Eingesetzt wird das Afterloading z. B. bei Enddarmkrebs (Rektumkarzinom), wenn der Schließmuskel erhalten bleiben soll, bei Gebärmutterhalskrebs und Scheidenkrebs.


Nuklearmedizinische Anwendungen


Bei einer nuklearmedizinischen Strahlentherapie werden radioaktive Substanzen verwendet: Meist handelt es sich um Beta-Strahler oder instabile Atome, deren Kerne radioaktiv zerfallen. Sie werden in Form von Arzneimitteln in den Körper eingebracht, z. B. durch Spritzen. Durch den Stoffwechsel gelangen die radioaktiven Substanzen in das betroffene Organ, zerstören die krankhaften Zellen und zerfallen innerhalb von Stunden oder Tagen. Möglich ist diese Art der Strahlentherapie z. B. bei Knochenmetastasen. Die Radionuklide reichern sich bevorzugt in den Metastasen an und können diese zerstören.


Vorbereitung zur Strahlentherapie


Eine Strahlentherapie muss sorgfältig geplant werden, um sie so effizient, aber auch so schonend wie möglich durchzuführen. Der Tumor soll mit möglichst hohen Dosen bestrahlt werden, das gesunde Gewebe soll jedoch nur geringen Dosen belastet werden. Im Vorfeld der Strahlentherapie muss der zu bestrahlende Körperabschnitt mit einer Computertomografie (CT) aufgenommen werden. Mit dieser Methode wird die Röntgendichte des Körpers individuell gemessen. Gleichzeitig wird ein Koordinatensystem auf dem Körper aufgezeichnet, an dem später die Bestrahlungsgeräte ausgerichtet werden können. Die Markierung des Koordinatensystems erfolgt durch Laserstrahlen, die fest in jedem Bestrahlungsraum installiert sind und die den „Nullpunkt des Koordinatensystems darstellen. In besonderen Fällen kann die Computertomografie-Planung durch eine Magnetresonanztomografie (MRT) ergänzt werden, um die Tumorgrenzen besser darzustellen. Die Bilder werden in einen Bestrahlungsplanungscomputer eingelesen, sodass sich das zu bestrahlende Körperareal millimetergenau festlegen lässt.

Anschließend wird ein dreidimensionales Bild erstellt und die jeweils günstigste Anordnung der Bestrahlungsfelder ermittelt. Mithilfe der computerunterstützten Bestrahlungsplanung lässt sich im Voraus berechnen, welche Strahlendosis in welche Region des Körpers eingestrahlt wird.


Durchführung einer Strahlentherapie


Der Zeitplan einer Strahlentherapie variiert von Tumor zu Tumor und Patient zu Patient. Möglich sind Bestrahlungen einmal täglich, an fünf Tagen hintereinander gefolgt von zwei Tagen Pause, aber auch mehrere Bestrahlungssitzungen an einem Tag (hyperfraktioniert) oder nur ein- bis dreimalige Bestrahlungen wöchentlich (hypofraktioniert). In jedem Fall wird der genaue Zeitplan vor Beginn der Therapie vom Strahlentherapeuten festgelegt und mit dem Patienten besprochen. Für Patienten mit Herzschrittmacher oder Defibrillator gelten besondere Bedingungen, die vor der Therapie mit dem Arzt abgeklärt werden.


Mögliche Nebenwirkungen


Da die Strahlenbehandlung örtlich begrenzt ist, treten Nebenwirkungen in der Regel auch nur im Bereich des Bestrahlungsfeldes auf. Ob Patienten mit akuten Nebenwirkungen, also solchen, die bereits während der Strahlentherapie auftreten oder mit Spätfolgen rechnen müssen, hängt von der Strahlendosis, der Empfindlichkeit der zu bestrahlenden Organe und der Größe des Bestrahlungsfeldes ab.


Nebenwirkungen im Verlauf einer Strahlentherapie treten in der Regel lokal, organbezogen und nur vorübergehend auf. Als akute Symptome nach einer Strahlenbehandlung im Kopf-Hals-Bereich können Schleimhautentzündungen im Mund oder in der Speiseröhre sowie Hautrötungen an den bestrahlten Körperregionen auftreten. Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall können Nebenwirkungen bei einer Bestrahlung des Bauchbereichs sein. Bei einer Hirnbestrahlung kann es zum Haarverlust kommen. Eine Bestrahlung kann auch die Ursache für Müdigkeit, Fieber und Appetitlosigkeit sein, aber auch diese Symptome sind meist nur vorübergehend. Als Spätreaktionen können oder Verhärtungen des Unterhautfettgewebes oder Hautveränderungen auftreten.


Hilfreich für die Zeit während und nach der Bestrahlung sind eine schonende Hautpflege, besonders beim Umgang mit möglichen Reizungen durch Sonne und Chemikalien sowie eine gesunde Ernährung.


Zusammenfassend


Die Radiotherapie ist ein wichtiger Baustein der erfolgreichen Krebstherapie. Die technische Entwicklung der Strahlentherapie führte in den letzten Jahren zu einer besseren Heilung und einer Verminderung von bleibenden Spätfolgen der Therapie. Die Radiotherapie muss in das interdisziplinäre Behandlungsverfahren von Tumorerkrankungen einbezogen werden. Die gut abgestimmte Kombination verschiedener Behandlungsmodalitäten mit der ionisierenden Strahlung ermöglicht bei vielen Krankheiten eine verbesserte Heilung und eine verbesserte Lebensqualität mit und nach Krebs.


Lehrvideos von Prof. Dr. Hilke Vorwerk:

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